Sie gehören zum Stadtpark wie Kaninchen oder Eichhörnchen, und doch spalten sie die Gemüter: Rabenkrähen. Dabei handelt es sich um intelligente und neugierige Tiere. Ihren zweifelhaften Ruf verdanken die schwarzen Gesellen vor allem Hitchcocks Horrorfilm „Die Vögel“, wo sie sich in einer bedrohlich wirkenden Sequenz versammeln, um hinterhältig Menschen anzugreifen.
Dass die Wahrheit anders aussieht, erklärt mir Siegfried Mahnke (59), mit dem ich heute am Stadtparksee verabredet bin. Seit fünf Jahren ist der begeisterte Amateur-Tierfilmer regelmäßig vor Ort, um sich mit den Park-Krähen zu treffen. Die Tiere erkennen ihn über den See hinweg und steuern ihn zielstrebig an. Ich selbst halte mich ein wenig zurück, um die Vögel nicht zu vertreiben. Diese werden mit Hundekuchen und Erdnüssen angelockt. Nach und nach kommen immer mehr.
Das typische Krächzen lassen die Tiere heute morgen nur selten erklingen. Ganz ruhig geht es zu, manchmal streiten sich zwei Tiere um einen Happen. „Rabenkrähen kommunizieren nonverbal“ erzählt Herr Mahnke. Der Sehsinn sei sehr gut ausgebildet. Die Tiere schauen einander an, und sie schauen die Menschen an, beobachten sie. Sie merken sich genau, wie jemand aussieht, der sie füttert. Fehlt ein gewohntes Detail (wie etwa ein Bart), sind sie zunächst einmal irritiert.
Herr Mahnke hat den Krähen, die immer wieder kommen, Namen gegeben. Woran er sie wiedererkennt, möchte ich wissen. „An ihrem Verhalten“, erklärt Herr Mahnke, „denn jedes Tier hat seinen eigenen, unverwechselbaren Charakter.“ Manche Krähen sind ruhig oder schüchtern, andere wiederum mutig oder vorlaut.
Krähen leben monogam. Sie werden bis zu vierzig Jahre alt, möglicherweise auch deutlich älter. Mit drei bis vier Wochen kann eine Rabenkrähe fliegen. Jungtiere erkennt man am roten Rachen, wodurch sie bei geöffnetem Schnabel für die Elterntiere schon von weitem erkennbar sind.
Männliche und weibliche Vögel sind ungefähr gleich groß. Man kann sie jedoch am Verhalten unterscheiden, da weibliche Krähen zumeist etwas zurückhaltender sind als männliche Tiere. Der Ausdruck „Rabeneltern“ ist fehl am Platz: Krähen kümmern sich sehr liebevoll um ihren Nachwuchs. Dass die Tiere auch recht unterschiedlich aussehen, erkenne ich erst auf den zweiten Blick. Die Schnäbel weisen ebenso Variationen auf wie die Augen und die Farbe der Federn, die an manchen Stellen heller sein kann. Auch sind manche Tiere kräftiger gebaut als andere. Jungtiere besitzen einen eher filigranen Körperbau.
Herr Mahnke versteckt Futter unter Bierdeckeln, befestigt Hundekuchen auf Ästen. Die Krähen lieben solche Aufgaben. Sie wollen beschäftigt werden, spielen gerne. Wenn es ihnen langweilig wird, treiben sie allerlei Schabernack. Dann wird auch schon mal ein Hund oder ein Bussard gejagt. Doch damit hat es sich. „Krähen sind gar nicht in der Lage, Kaninchen oder andere Kleintiere aufzubrechen“, erklärt Herr Mahnke. Manchmal werden lautstarke Revierkämpfe von Krähen als Angriffe auf Menschen gewertet, die sich gerade zufällig in der „Schusslinie“ befinden. Denn ihr Revier, das ist den Krähen heilig. Und so fliegt am Ende der „Spielstunde“ jede Krähe wieder in ihr eigenes Revier zurück. Abends suchen die Krähen dann „ihren“ Schlafbaum auf, in dem sie die Nacht verbringen. Den Baum teilen sie dann auch willig mit Saatkrähen und Dohlen, während sie die verwandten Rabenvögel am Tag nicht dulden würden.
Nach einer Stunde verabschiede ich mich von Herrn Mahnke. Ich habe heute viel gelernt. Es ist schade, dass so viele Menschen Krähen nicht mögen. Vielleicht ändert sich daran nach und nach etwas, wenn man Aufklärungsarbeit leistet. Denn es ist immer hilfreich, die Fakten zu kennen, bevor man ein zweifelhaftes (Vor-)Urteil fällt.
Fotos und Redaktion: S. Gabriel